Südwest-Presse , 50/285


Nicht die Menschen, sondern die Umstände verändern.

Knut M. Wittkowski

Inst. Med. Biometrie, Eberhard-Karls-Universität, D-72070 Tübingen, Westbahnhofstr. 55


Zwei Tage lang tagten in Hannover 1000 Wissenschaftler und Betroffene um über die neuesten Erkenntnisse epidemiologischer, klinischer und psychosozialer Aspekte der HIV-Infektion zu diskutieren. Da auf absehbare Zeit keine wesentlich wirksameren Medikamenten oder Impfstoffen zu erwarten sind, standen neben einer Beschreibung der Ausbreitung von HIV vor allem Fragen der Prävention im Vordergrund.

Nach Angaben der WHO haben sich weltweit seit 1975 etwa 17 Millionen Menschen infiziert. Von diesen sind vier Millionen erkrankt und von diesen wiederum drei Millionen verstorben. In den nächsten Jahren wird mit etwa einer Million Neuinfektionen pro Jahr gerechnet. Dabei breitet sich HIV regional sehr unterschiedlich aus. Die meisten Neuinfektionen erwartet die WHO in den nächsten Jahren in Asien. In Afrika wird sich die Zahl der Infizierten auf hohem Niveau einpendeln, so Prof. von Sonnenburg vom Münchner Institut für Internationale Medizin. In Europa und Nordamerika ist die Zahl der Neuinfektionen in den vergangenen 10 Jahren deutlich zurückgegangen, sodaß mit einem leichten Rückgang der Zahl der Infizierten gerechnet werden. kann.

In Deutschland wurden nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (vormals BGA) insgesamt seit 1985 65 000 positive Laborbefunde registriert. Aufgrund nicht erkennbarer Doppelmeldungen bei anonymen Tests entspricht dies einer Zahl von etwa 40 000 HIV-Infektionen. Zur Zeit leben nach Berechnungen des Tübinger Instituts für Medizinische Biometrie noch etwa 25.000 Infizierte und 3.000 Kranke. Über 90 Prozent sind homo- und bisexuelle Männer sowie Fixer(innen). Die überwiegende Mehrheit der infizierten Heterosexuellen sind Sexualpartner dieser Hauptbetroffenengruppen und Sextouristen. Für eine eigenständige Ausbreitung von HIV unter Heterosexuellen gibt es bei insgesamt lediglich 17 gemeldeten Erkrankungen bisher keine Anzeichen. Auf dem Kongreß wurden weitere Studien vorgestellt, die diese Beobachtung stützen. Nach einer Studie von Wissenschaftlern aus Berlin und Niedersachsen gab es bei anonymen Tests von 150 000 Neugeborenen lediglich 50 positive Ergebnisse. Unabhängige Tests zeigten, daß mindestens zwei Drittel der Mütter dieser Kinder zu den Hauptbetroffenengruppen gehören. Auch unter den Blutspendern gibt es eine gleichbleibend niedrige Zahl positiver Testbefunde. Ein steigender Anteil von Frauen stellt keinen Widerspruch zu diesen Beobachtungen dar. Da die Zahl der Neuinfektionen bei den Frauen langsamer abgenommen hat als bei den Männern, wird der Anteil der Frauen an den Erkrankenden trotzdem von derzeit 10 Prozent bis auf ca. 20 Prozent ansteigen.

Daß diese Zahlen nicht den häufig in den Medien geäußertern „kontraproduktiven Übertreibungen" (von Sonnenburg) entsprechen, darf nicht als „Entwarnung" verstanden werden. Da nach einhelliger Meinung der Epidemiologen und Sozialwissenschaftler die Bedeutung der sozioökonomischen Bedingungen für die Ausbreitung von HIV zunimmt, muß in Zukunft nicht nur die Verhaltensprävention, sondern vor allem die Verhältnisprävention intensiviert werden. In Europa sollte deshalb nach einer auf dem Kongreß vorgestellten Studie aus dem American Journal of Public Health einerseits allen Heterosexuellen, die keine Kondome verwenden wollen oder können, die Anwendung von Spermiziden empfohlen werden. Andererseits sollten zur Reduktion der Ausbreitung von HIV unter Drogenabhängigen Spritzen in Gefängnissen verfügbar gemacht, so eine Forderung des Bremer Instituts für Drogenforschung. Die Deutsche AIDS-Hilfe kritisierte in diesem Zusammenhang Auflagen und geplante Mittelkürzungen des Gesundheitsministeriums für ihre zielgruppenorientierten Präventionsbemühungen. Zur Reduktion der Gefahr einer Infektion von Heterosexuellen durch männliche und weibliche Beschaffungsprostituierte sollten Bestrebungen zur Legalisierung von Drogen intensiviert werden.Weltweit hängen die Erfolge der Präventionsbemühungen wesentlich von einer Verbesserung der Lebensumstände und damit einer Verlängerung der Lebenserwartung ab.


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©1996 Knut M. Wittkowski (kmw@uni-tuebingen.de(kmw@uni-tuebingen.de) Last Updated: 96-07-15 16:33



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